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Den Beginn der koopera­tiven Aufzucht setzt Blaffer Hrdy zu Beginn des Pleistozäns (vor ca. 1,8 Mio Jahren) an,

Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru
Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru


als der afrikanischen Homo erectus erschien. Das folgert die Autorin aus dem geringen Größenunterschied zwi­schen den Geschlech­tern gegenüber den wesentlich älteren Australopithecinen.

Beim Homo erectus waren die männlichen Individuen

nur 18 Prozent größer als die Frauen. Dieser Grad an Geschlechts­dimor­phismus ist nur geringfügig ausgeprägter als beim modernen Menschen. (S. 384)

Die plausible Interpretation von Blaffer Hrdy würde bedeuten, dass die Hominiden schon lange vor dem Homo sapiens ihre Jungen gemeinsam versorgten. Deshalb ist die Übernahme der menschlichen Kommuni­kation durch die Helfer und somit die ganze Gruppe beim Homo sapiens sehr plausibel.

Auch Carel van Schaik und Karin Isler betonen die Bedeutung der Helfer bei der Jungenfürsorge:

Bei den meisten Säugetierarten ist die Mutter während der anstrengenden Tragzeit und Säugezeit auf sich allein gestellt, so daß jedwelche Hilfe einen Beitrag ans mütterliche Energie-Budget bedeutet.

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Erläuterung:

Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru
Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru

Kein Säugetier auf der Erde hat Junge hervorgebracht, deren Entwicklung zur Reife länger dauert oder die so lange auf die Unterstützung so vieler anderer angewiesen sind wie die Menschen im Pleistozän.
Umsorgt von Alloeltern und Eltern, wuchsen diese unglaublich kostspieligen und mit einem großen Gehirn ausgestatteten Nachkommen langsam heran und überlebten doch in hinlänglicher Zahl, um eine Gründerpopulation hervorzubringen, die in der Lage war, in neue Lebensräume vorzudringen, dort Kinder aufzu­ziehen, sich auszubreiten und schließlich die ganze Erde zu bevölkern.
Versorgt nicht nur von ihren Müttern, sondern auch von anderen Mitgliedern der Gruppe, konnten sogar Nachkommen, die lange, bevor sie für sich selbst sorgen konnten, entwöhnt wurden, langsam heranwachsen, ohne Hunger zu leiden.
(Sarah Blaffer Hrdy 2010: Mütter und andere, Berlin, S. 377)

Durch die längere Kindheit und Jugend­zeit hat sich die Aufzucht des Nachwuchses beim Menschen und seinen Vor­läu­fern extrem verteuert. Sarah Blaffer Hrdy, von der das Zitat stammt, hat sich mit dem verlängerten Lebenslauf des Menschen und sei­nen Folgen beschäftigt.

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These 15

Gemeinsame Jungenfürsorge

Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru
Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru


Nachdem die intentionale Kommunikation und Kooperation zwischen Mutter und Säugling in einer sozialen Gruppe etabliert ist, durchlaufen alle Individuen diese Phase als Säugling und alle weiblichen Individuen erleben sie von der mütterlichen Seite.

Da die Mütter, wie verschie­dentlich beobachtet wurde, mit der Aufzucht der Kinder allein über­fordert wären, über­nehmen Väter, Großmütter, ältere Geschwister und andere Verwandte Aufgaben in der Betreuung und Versorgung des Nachwuchses.

Auch diese Individuen werden sich in der Kommuni­ka­tion mit dem Säugling der neuen intentionalen Kommunikation bedie­nen, die sie selbst erlebt haben und die der Säugling von ihnen fordert.

Da die neue Kom­muni­kationsform Vorteile bietet, werden sich zunächst spielerisch die Heran­wachsenden und später die Erwachsenen der intentionalen Kom­muni­kation und Kooperation bedienen. So wird sich die neue Kommuni­ka­tions­form in der sozialen Gruppe durchsetzen.

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Das Ende des Gehirnwachstums beim Auftreten des Homo sapiens

Palastviertel, Machu Picchu, Peru
Palastviertel, Machu Picchu, Peru


vor ca. 250 000 Jahren hat also nichts damit zu tun, dass das Gehirn im Unterschied zu den früheren Hominidengehirnen perfekt gewesen wäre (Mayr), auch die Idee eines nahtlosen Übergangs von der genetischen Anpassung zur kulturellen Tradition (Habermas) halte ich für eine unzulässige Vereinfachung,

die dem Epochenwechsel beim Ende des Größen­wachstums des menschlichen Gehirns nicht genügend Rech­nung trägt. Hier sind weitere Zwischenschritte gedanklich nötig und noch zu beschreiben, die die Entwicklung plausibel machen.

Die Verlängerung des Gehirnwachstums in das erste Jahr nach der Geburt verteuert das menschliche Gehirn weiter und führt zu dem Problem, wer die Kosten dafür aufbringen kann.

Die Mutter allein kann die erhöhten Kosten wohl nicht aufbringen, so dass weitere Helfer erforderlich sind. Wenn wir von einer Paarbindung und von einer Familienstruktur ausgehen, kommen als weitere Helfer der Vater, dazu andere Familienmitglieder wie z. B. ältere Geschwister infrage.

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