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Der Geist als evolutive Neuheit wurde möglich durch einen Funktions­wechsel des Gehirns,

Puno, Peru
Puno, Peru


das die Fähigkeit zur Kommunikation in einem Netz erwarb, und durch einen Funktionswechsel dieses Netzes, der es ermöglichte, die beteiligten Individuen zu motivieren und ihre Instinkte zu steuern.

Die Motivationsimpulse im Netz, die Lebensmut verleihen und ohne die die Individuen und sozialen Gruppen nicht lebensfähig sind, wurden als Keimzelle des menschlichen Geistes identifiziert. Auch die Entwicklung bis zu den Anfängen des Geistes spielt sich im Rahmen der darwinschen Evolutionstheorie ab, an ihrem Ende steht aber eine neue Existenzstufe.

Der geistbegabte Mensch verfügt über emergente Eigenschaften, für deren Beschreibung über die biologische Theorie hinaus ein eigenes Regelwerk notwendig wird.

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VI.     Zusammenfassung

These 22

Die Evolution von Gehirn und Geist

Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru
Bahnfahrt zum Titicaca-See, Peru


Die gestellte Aufgabe war, die Evolution des Geistes im Einklang mit der Evolutionstheorie Darwins darzustellen.

Die bisherigen Lösungs­ver­suche auf der Basis der Ko­evolu­tion von Gehirn und Geist wurden verworfen, weil der Geist das bereits fertige Gehirn sachlich und zeitlich voraussetzt und die emergenten Eigenschaften des menschlichen Geistes auf der biologi­schen Ebene der Entwicklung des Gehirns noch keine Rolle spielen können.

Die vorgeschlagene Lösung geht von einem Nacheinander der Evolution des Gehirns und der des Geistes aus. Die Entwicklung des Gehirns mit den Etappen pränatales Wachstum, post­natales Wachstum und vernetztes Gehirn kann nach den Regeln der darwinschen Evolutionstheorie plausibel erklärt werden, ohne die Einwirkung geistiger oder kultureller Faktoren zur Begründung heranzuziehen.

Die Einwirkung des Geistes wäre danach eine zusätz­liche und zur Erklärung nicht unbedingt notwendige Ursache, die nach dem Prinzip von Ockhams Rasiermesser abzulehnen ist.

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These 21

Ausblick

Bahnfahrt nach Machu Picchu, Peru
Bahnfahrt nach Machu Picchu, Peru


Nach den Anfängen des menschlichen Geistes beginnt die Entfaltung der menschlichen Kultur, die nicht mehr unser Thema ist.

Wie der menschliche Geist sich entwickelt, welchen Gesetzen er folgt, welche Abhängigkeit von der biologischen Natur des Menschen besteht, das sind spannende philosophische Fragen, die hier nicht diskutiert werden können.

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Die neue Exis­tenz­stufe des Geistigen bedarf eines anderen Regelwerks,

Schulkinder, Cusco, Peru
Schulkinder, Cusco, Peru


das von den Geistes- bzw. Sozial­wis­sen­schaften erarbeitet wird, dessen Angemes­sen­heit im Detail immer wieder zu prüfen ist.

(Die Abgrenzung der Existenzstufen und das Phänomen der Emergenz werden in der philosophischen Literatur unter dem Stichwort der Schichtenlehre oder Schichtentheorie behandelt, deren bekanntester neuerer Vertreter Nicolai Hartmann ist, vgl. dazu N. Hartmann, Der Aufbau der realen Welt. Grundriß der allgemeinen Kategorienlehre, Berlin 1940, 3. Auflage 1964.)

In These 3 habe ich die Koevolution von Kultur und Gehirn abgelehnt. Hier gibt es ein weiteres Argument für diese Ablehnung: Die Kultur gehört als emergente Eigenschaft zur Existenzstufe des Geistigen. Deshalb konnte sie, als sich das Gehirn entwickelte, das zur biologis­chen Existenzstufe gehört, noch gar nicht vorhanden sein.

Wo die Grenze zwischen den Sphären des Biologischen und des Geistigen verläuft, habe ich hier aufgezeigt.