339

13. Zurück zur großen Politik: Tiberius hatte 35/36 n. Chr. durch römische Bundesgenossen

Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle
Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle

die Parther aus Armenien vertrei­ben und den Großkönig Artabanos III. durch den an­fangs erfolgreichen Gegenkönig Tiridates in Bedrängnis brin­gen kön­nen. Der Kaiser ernannte L. Vitellius zum Legaten und Chef des römischen Heeres in Syrien und zum Ober­befehls­haber im Krieg gegen die Parther.

14. Pilatus beobachtete die Krise in Armenien und die Ereignisse im parthischen Großreich genau. Er hatte bei seinem Kaiser wegen der engen Kontakte zum gestürzten Sejan eine Scharte auszuwetzen und war entschlossen, seine Chance zu nutzen, sobald sich eine Möglichkeit dazu bieten wür­de.

Pilatus kannte die Ge­fahr, die von den Nachrichten über parthische Siege und römische Nieder­lagen ausging. Die Orientalen und die Juden im Besonderen waren in seinen Augen unsichere Kantonisten, denen man die römische Macht vor Augen stellen musste.

Während die Aufständischen noch von den parthischen Sie­gen schwärmten, kannte Pilatus die neueste Nachrichtenlage. Und die war günstig für Rom.

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11. Das ganze flache Land (nicht die Städte) jubelt Jesus zu,

Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle
Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle

er zieht im Frühjahr 36 n. Chr. im Triumph durch Palästi­na. – Man wird sich eine Situation vorstellen können, die der Napo­leons ähnelt, als dieser im März 1815 aus der Verbannung auf der Mittelmeerinsel Elba nach Frankreich zurückkehrte.

Jesu Anhänger bereiten ihm einen rauschenden Empfang, aber die politisch Verant­wort­lichen bleiben reser­viert, die Stadt­tore verschlos­sen, Markus 1,45. Anders als Napoleon ist Jesus kein militärischer Führer, aber auch seine Faszina­tion beruht auf den Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit.

Auch Jesus hat wie Napoleon eine traditionelle Adelsgesell­schaft zugunsten einer Monarchie zu Grabe getragen, in der das Bürgerrecht und die Chance, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen, plötzlich allen Menschen offen standen.

336

5. Die Anklage gegen den Statthalter Jesus lautet auf Religions­frevel

Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle
Vulkan Pichincha, Abstieg zur heißen Quelle

(1. Könige 21,10, Markus 14,64), ein probates Mittel im politi­schen Ränkespiel der Zeit. Auch dem Philosophen Sokra­tes warf man Gottlosigkeit (asebie) vor, und von dem Fabel­dichter Äsop erzählt die Legende, dass die Delpher dem Dichter eine Falle stellten und ihn wegen Missachtung der Götter steinigten (siehe Abschnitt 8).

6. Die Entmachtung Jesu ist geglückt, seine Ermordung, falls sie geplant war, nicht. In 1. Könige 13 erhebt der König Jero­beam seinen Arm gegen einen Mann Gottes, der Arm wird steif, sodass er ihn nicht bewegen kann. Die Augen und Ohren eines Herrschers sind seine Spitzel, der Arm seine Polizeikräfte.

Die Polizeikräfte des Königs in der Erzählung im Alten Testament verweigerten also den Befehl, Antipas mag es ähnlich ergangen sein, denn die Wundergeschichte von Markus 3,1ff spielt auf 1. Könige 13 an.

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Die Planung und der Bau der neuen Hauptstadt Tiberias wa­ren das Meisterstück des Statthalters Jesus.

Vulkan Pichincha, Krater im Krater
Vulkan Pichincha, Krater im Krater

Für dieses Glanz­stück sei­ner Tätigkeit erhielt er den Ehrennamen tekton (tektwn). Dieses grie­chi­sche Wort wird meist mit Zimmermann übersetzt, hat hier aber die Bedeutung von Baumeister, Architekt.

Wer eine neue Stadt, noch dazu eine Hauptstadt baut, möchte vieles besser machen, möchte Altes hinter sich lassen, die Idee eines neuen Jerusalem stand dabei Pate.

In der judäischen Hauptstadt Jerusalem wurde seit über 40 Jahren der große Jahwe-Tempel, das Haus Gottes, gebaut. Antipas und Jesus wollten eine Stadt für die Menschen bauen, ohne dabei die göttlichen Mächte zu vergessen.

Die neue Hauptstadt wurde in Rekordzeit gebaut, wenn auch nicht in drei Tagen wie in Johannes 2,19. Aus dem Jahre 20 n. Chr. gibt es die ersten Münzen des Antipas mit der Inschrift Tiberias und der Schilfpflanze, die als Symbol der am See liegenden Stadt galt. Die Münzen feiern die Grün­dung der neuen Hauptstadt.

318

Zu 3: Der Sturz von der Tempelzinne erinnert an den Absturz bei der Steinigung.

Vulkan Pichincha, Morgennebel im Krater
Vulkan Pichincha, Morgennebel im Krater

Der Fabeldichter Äsop wird von den Delphern wegen angeblichen Religionsfrevels einen Berg hinab­gestoßen (Vita 141), dasselbe Schicksal droht Jesus in Lukas 3,29. Es ging darum, dass die Monarchie die Gerichtshoheit an sich zog und Bürgerrechte gewährte, damit die Unterschicht der Gerichts­bar­keit der Aristokratie entzogen wurde.

Wie oben ge­sagt, bestand die Aristo­kratie aus judäischen Familien, die das Land seit der jüdischen Eroberung 104 v. Chr. beherrschten, die Unterschicht aber aus einer gemischten nichtjüdi­schen Bevölke­rung.

317

6.       Die Amtsübernahme

Die Einsetzung des Statthalters Jesus in Galiläa und Peräa erwies sich für Antipas

Vulkan Pichincha, internationale Seilschaft
Vulkan Pichincha, internationale Seilschaft

als kluger Schachzug. Scheiterte Jesus, dann konnte Antipas ihn als den Schuldigen entlassen und hatte eine weiße Weste. Hatte Jesus Erfolg, konnte der Tetrarch sich den Erfolg als seinen Verdienst anrechnen.

Man kann die erwei­terte Versuchungs­geschichte bei Matthäus und Lukas als eine Art Anstel­lungs­vertrag ansehen. Es werden drei Themen ange­spro­­chen: 1. Brot, 2. Herrschaft, 3. persönliche Sicherheit.

In der Erzählung ist jeweils Jesus selbst der Nutznießer, in der histo­rischen Situation sollte er die Vorteile an die Bevölkerung weiter­geben. Es ging um die Herrschaftssicherung für den Fürsten Antipas, die Beschnei­dung der Macht der Aristokratie und die Gewinnung der unteren sozialen Schichten als Machtbasis für die Monar­chie.

Zu 1: In der Antike lautet die Regel Nr. 1 der Macht­siche­rung: Vermeide Hungeraufstände. Sozialpolitik war Versorgung mit ausreichen­dem und dadurch preiswertem Getreide.

314

4.       Arbeitssuchend

Als Herodes schwer erkrankte, wurden die Studien der Judäer

Vulkan Pichincha, Aufstieg zum Kraterrand
Vulkan Pichincha, Aufstieg zum Kraterrand

abrupt beendet. Ende 5 oder Anfang 4 v. Chr. reisten die Prinzen und Jesus mit ihnen nach Judäa. Das Jahr 7 v. Chr., als die große Konjunktion von Jupiter und Saturn den Astrologen in Judäa einen Herrschaftswechsel ankündigte, hatten sie glück­licher­weise in Rom verbracht und waren so dem Misstrauen des alternden Herodes entgangen.

Zwei Halbbrüder der Prinzen, die Mariamnesöhne Alexander und Aristobul, hatte Herodes im Jahr 7 v. Chr. aus fadenscheinigen Gründen hinrichten lassen. Im Matthäus­evangelium erscheint dieses Ereignis als der Kinder­mord von Bethlehem, dem Jesus entgeht, weil er sich in Ägypten (=Rom) aufhält.

313

3.  Die Chronologie

1.  Nach Johannes 2,20 und 8,57 war Jesus nach 46 Jahren Bau­zeit des Tempels, also 27 n. Chr.

Vulkan Pichincha, Aufstieg zum Kraterrand
Vulkan Pichincha, Aufstieg zum Kraterrand

etwa 50 Jahre alt. Er wurde also ca. 24/23 v. Chr. geboren. Das passt zu den Anga­ben, dass Jesus unter der Herrschaft des Kaisers Augustus (Lukas 2,1ff) und des jüdischen Königs Herodes des Großen (Matthäus 2,1ff, Lukas 1,5) geboren wurde. Augustus regierte von 31 v. Chr. bis 14 n. Chr., Herodes von 37 bis 4 v. Chr.

2.  Das hohe politische Amt, das Jesus nach der Versuchungs­geschichte (Matthäus 4,8f, Lukas 4,5-7) angeboten wurde, war das Amt des Statthalters des Herodes Antipas in Galiläa.

Jesus übernahm das Amt im Jahr 6 n. Chr., er war damals 30jährig und bekleidete sein erstes öffentliches Amt (Lukas 3,23). 6 n. Chr. war das Krisenjahr der Herodessöhne, damals wurde Archelaos, der Bruder des Antipas, von Augus­tus in Jerusalem abgesetzt und verbannt.

312

Nach Josephus, Altertümer 17,1,3 wurden Archelaos, Antipas und Philippus um das Jahr 9 v. Chr.

Vulkan Pichincha, 4794 m, Ecuador
Vulkan Pichincha, 4794 m, Ecuador

zur weiteren Aus­bildung nach Rom gesandt, wo sie bei einem Privatmann, möglicherweise bei Asinius Pollio, Quartier nahmen.

 Jesus wurde mit den Prinzen nach Rom geschickt und absolvierte die gleiche Ausbildung. Herodes und seine Söhne brauchten tüchtige Ver­wal­tungsfachleute und Diplomaten, die dem Königs­haus treu ergeben waren.

Für die Römer war es wichtig, Angehörige der Eliten der unterworfenen Völker auszubilden, die in ihren Hei­mat­ländern römische Herr­schafts­prinzipien vermit­teln konnten.

Die Aus­bildung bestand in den artes liberales, den Studien, die den Freien anstanden, weil sie keine schwere Handarbeit erfor­derten: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arith­metik, Geometrie, Astro­nomie (und Astrologie), Musiktheorie. Unterrichts­sprache war Latein

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2.       Kindheit, Ausbildung

Jesus wurde ca. 24/23 v. Chr. geboren und erhielt eine typisch aristokratische Erziehung,

Vulkan Cotopaxi 5897 m, Ecuador
Vulkan Cotopaxi 5897 m, Ecuador

bis zu seinem 7. Lebensjahr befand er sich im Frauenhaus in der Obhut seiner Mutter und ihrer Dienerinnen und wurde zusammen mit Ge­schwis­tern und anderen Kindern betreut.

Im Alter von 7 Jahren begann für ihn die Elementar­schule in Gestalt der Schule der königlichen Prinzen, wo er mit Antipas, anderen Prinzen und Aristokraten­söhnen und dem späteren christlichen Presbyter Manaen (Apostelgeschichte 13,1) erzogen wurde.

Während im Hause der Mutter Aramäisch und Griechisch gesprochen wurde, fand der Schulunterricht nur in griechischer Sprache statt. Fächer waren das Rezitieren Homers und anderer Klassiker, Lesen und Schreiben, Rechnen, Geometrie, Musizieren, Turnen.

310

4.         Die zeitliche Nähe zum sogenannten samaritanischen Messias

Oldtimerbus, Quito, Ecuador
Oldtimerbus, Quito, Ecuador

(Josephus, Altertümer 18, 4, 1) ist so evident, dass beide Ereignisse als iden­tisch angesehen werden können. Jesus war der samarita­ni­sche Messias und wurde 36 n. Chr. hingerichtet.

5. Die Erhebung Jesu zum Messias in Caesarea Philippi macht nur Sinn, wenn Jesus dafür qualifiziert war. Er musste schon eine ähnliche Position bekleidet haben oder seinem Stand nach dafür infrage kommen oder beides.

6. Ich verstehe deshalb die Versuchungsgeschichte ganz irdisch so, dass Antipas im Krisenjahr 6 n. Chr., als er Gefahr lief, abgesetzt zu werden, Jesus das Amt des Statthalters von Galiläa angeboten hat, und Jesus das Angebot annahm (erst die spätere Kirche erzählte die Ablehnung des Angebotes).

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1.       Rekonstruktion der Biographie Jesu

Von welchen Grundannahmen ist bei der Rekonstruktion der Biographie Jesu

Oldtimerbus, Quito, Ecuador
Oldtimerbus, Quito, Ecuador

auszugehen? Welche grundlegenden ersten Schluss­folgerungen sind zu ziehen?

1.  Jesus wurde von Pilatus als Messias gekreuzigt. Das ist das historisch am besten gesicherte Ereignis der Biographie Jesu. Eine sinnvolle Rekonstruktion der Biographie kann also nur von hier ausgehen.

2.  Jesus wurde in Caesarea Philippi zum Messias erhoben, Markus 8,29. Das macht erst Sinn nach dem Tod des Fürsten Philip­pus im Jahre 34 n. Chr.

3.  Die armenische Krise brach 35 n. Chr. aus, die romfeind­lichen Kräfte in Palästina witterten Morgenluft und hofften auf Unter­stützung von den Parthern für ihre Erhebung gegen Rom.

Es ist gut vorstellbar, dass Jesus als parthischer Gegen­könig in der vakanten Tetrarchie des Philippus ein­gesetzt wurde.

305

3.  Im Jahr 36 n. Chr., während der sogenannten Armenien­krise, als die Macht der Römer im Osten auf Messers Schneide stand,

Äquatordiplom 15.8.1989
Äquatordiplom 15.8.1989

setzte sich Jesus an die Spitze eines messianischen Aufstands gegen die Römer, Pilatus ließ alle Anführer hinrich­ten, Lukas 23,32, Josephus, Altertümer 18,4,1. Die Bevölke­rung wurde von Pilatus verschont.

4.  Sterben und Auferstehen ist ein bekanntes Ritual in den antiken Mysterienkulten, das auf Jesus übertragen wurde.

5.  Nein. Die Erzählungen über Heilungs- und Naturwunder sind Gleichnisse im Stil antiker Erzähltraditionen, die wie moderne Anekdoten die Botschaft Jesu verdeutlichen sollen.

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Heute beginnt ein neues Thema:

War Jesus Statthalter von Galiläa?

Thesen zu einer Biographie des historischen Jesus

Äquatordenkmal bei Quito, Ecuador
Äquatordenkmal bei Quito, Ecuador

Schnellinformation

Sechs Fragen

1.  Wie alt war Jesus bei seinem öffentlichen Auftreten, 30 Jahre nach dem Evangelium des Lukas oder 50 Jahre nach dem Evangelium des Johannes?

2. Warum wurde Jesus verehrt?

3.  Warum starb Jesus am Kreuz?

4.  Wie ist der Auferstehungsglaube der Jünger entstanden?

5.  Berichten die Evangelien die Wunderheilungen Jesu als histo­rische Tatsachen?

6.  Stammte Jesus aus der sozialen Unterschicht?

Hier sind die korrekten Antworten

151

5.14.4.
Der Verfasser des Markus-Evangeliums hat Jesus-Überliefe­rungen

Istanbul, theodosianische Landmauer, Tor
Istanbul, theodosianische Landmauer, Tor

der Jesus-Gruppierungen des Jakobus, des Johannes und des Petrus übernommen. Siehe dazu im Einzelnen Johannes Neumann, War Markus ein Dichter? in: ders.: War Jesus Statthalter von Galiläa?, S. 43-92, hier S. 51-62.

5.14.5.
Die von den Evangelisten verwendeten Jesus-Überliefe­rungen aus Galiläa gehen zurück auf mündliche Überlieferungen, die in den Einzelkirchen tradiert wurden. Die Jesus-Überliefe­rungen aus Jerusalem beru­hen auf Deutungen des Todes Jesu durch die Einzelkirchen und deren kultischer Verwendung.

149

5.13.7.
In der jüdischen Deutung wurde Jesu Opfer mit dem Opfern der Pas­sah­­lämmer verglichen: im Johannes-Evangelium

Athen, Mosaik: Madonna
Athen, Mosaik: Madonna

stirbt Jesus zur Zeit der Opferung der Passah-Lämmer, als Passah-Lamm, vgl. Paulus in 1 Kor 5,7.

5.13.8.
In einer anderen jüdischen Deutung, bei den Synoptikern, setzte Jesus das Abendmahl als Gedächtnismahl für seinen Tod ein, und zwar in Form des Passahmahls.

Auch hier wird die Parallele vom Tod Jesu zum Tod des Passahlamms gezogen, das Mahl selbst wird scheinbar als Gedächt­­nis­mahl begangen, obwohl die Deuteworte zurückverweisen auf die Selbstopferung der Gottheit, der Jesus nach Joh 1,1ff angehört.

147

5.13.3.
Wer in der Antike an einem gewaltsamen Aufstand teilnahm und die Repräsentanten der öffentlichen Ordnung dabei töten wollte, hatte,

Patmos, Johanneskloster, Mönche
Patmos, Johanneskloster, Mönche

wenn der Aufstand scheiterte, sein Leben verwirkt. Insofern waren alle Teilnehmer des Jesus-Aufstands des Todes schuldig, als Pilatus sie besiegt hatte.

Pilatus kreuzigte aber nur Jesus und wenige andere Anführer, die meisten einfachen Teilnehmer konnten in ihre Heimat zurückkehren. Jesus ist deshalb (zusammen mit den anderen Anfüh­rern) tatsächlich stellvertretend für die vielen Mitläufer gestorben.

Am Anfang des Bekenntnisses für uns gestorben steht diese historische Erfahrung der Teilnehmer des Jesus-Zuges.

5.13.4.
Diese Erfahrung des tatsächlichen stellvertretenden Todes des adeligen und deshalb gottgleichen Jesus wurde in den urchristlichen Gruppen verschieden gedeutet. Es gab die persische Deutung der Selbstopferung Gottes, wie sie im Mithras-Kult begegnet.

Diese Deutung wurde ausge­drückt in den Deuteworten des Abendmahls in Mt 26,26-28par: dies ist mein Leib, dies ist mein Blut.

5.13.5.
Paulus und seine Tradition formulierten das ähnlich: Christus ist für uns, für unsere Sünden gestorben, Röm 5,6.8; 1 Kor 15,3.

146

V  13   Der Mythos vom Selbstopfer Christi

 5.13.1.
Die herrschende Erzählung über die Entstehung des christlichen Mythos vom Opfer Christi lässt sich so zusammenfassen: In der

Patmos, Johanneskloster, Besucher
Patmos, Johanneskloster, Besucher

Ge­schichte sind immer wieder religiöse Genies aufgetreten, die den Menschen den Willen Gottes verkündeten: zum Beispiel in alten Israel der Gesetzgeber Mose und die Propheten.

Zur Zeitenwende trat Jesus von Nazareth auf und verkündete das Reich Gottes. Die Men­schen spürten die religiöse Kraft und die göttliche Weisheit in der Verkündi­gung Jesu und formulierten in den mythischen Vorstellungen ihrer Zeit, in denen sie befangen waren, die Idee, Jesus sei ein Gottessohn.

Als Jesus am Kreuz starb, glaubten sie, Gott habe den Gottessohn Jesus für ihre Sünden geopfert, so wie die Juden Passahlämmer für ihre Sünden opferten.

5.13.2.
Zur Entstehung des christlichen Mythos vertrete ich die folgenden The­sen: Jesus war als Stellvertreter des Fürsten Antipas für die einfachen Menschen eine gottgleiche Person. Man vergleiche dazu die Aussage Phil 2,6: Jesus, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.

Die göttliche Gestalt und die Gottgleichheit Jesu sind nicht angemaßt, sie sind nicht nur Glaube der Gemeinde, sie sind zuallererst die Beschreibung einer sozialen Realität, einer sozialen Schicht, des Adels. Dieser sozialen Schicht gehörte Je­sus kraft Geburt und kraft des Amtes, das er als Statthalter ausübte, an.

139

5.11.8.
Joseph ist nicht der Name des Vaters Jesu, Mk 6,1ff kennt keinen

Ephesus, Säulenallee
Ephesus, Säulenallee

Vatersnamen Jesu, sondern nur den Namen der Mutter Maria. Der Name des Vaters taucht zuerst in den spät entstandenen Geburts­legenden in Mt 1f und Lk 1f auf.

5.11.9.
Woher kommt der Name Joseph für den Vater Jesu? Im Neuen Testament werden Vaterfiguren häufig Joseph genannt: Neben dem Vater Jesu sind hier zu nennen: Joseph von Arimathäa (Mt 27,57) und Joseph aus Zypern, genannt Barnabas, ein früher Heidenapostel (Apg 4,36).

Vielleicht gehört auch Joseph Barsabbas, der von den Aposteln ausgewählte Kandidat für den 12. Apostel, der die Stelle des Judas einnehmen sollte, dazu (Apg 1,22).

5.11.10.
Josephus, der Jesus als samaritanischen Pseudo-Messias beschreibt, spottet über den Vatersnamen Jesu so: Wenn es den Juden gutgeht, nennen sich die Samaritaner Söhne Josephs, wenn nicht, sagen sie, sie stammten von Ausländern ab, Ant 9,14,3.

126

5.6.7.
Außerhalb des jüdischen Umfelds fiel die politische Botschaft nicht auf fruchtbaren Boden, und die christliche Verkündigung wurde eine

Troja, römisches Theater
Troja, römisches Theater

rein reli­giöse und private Angelegenheit, eine Sache der persönlichen Lebens­führung. Die Apostel außerhalb der jüdischen Umgebung entwi­ckel­ten keinen Ehrgeiz, Jesus als Messias nachzufolgen.

5.6.8.
Die  verschiedenen Jüngerlisten  sind späte Konzepte, die in die Früh­zeit zurückdatiert wurden. Dazu gehören die zwölf Jünger Jesu (Mk 3,13ff) – mit wechselnden Namen, aber stets angeführt von Petrus, Jakobus und  Johannes – als Liste der Petruskirche und später der Gesamtkirche – entsprechend den zwölf Stämmen Israels bzw. den zwölf Tierkreiszeichen der Ekliptik.

Weitere Jüngerlisten sind der Stephanuskreis (Apg 6,5) als Jüngerliste der Johanneskirche mit sieben Mitgliedern entsprechend den sieben Planeten und die Brüder Jesu in Mk 6,3, die eine frühe Jüngerliste der Jakobuskirche darstel­len. In Apg 13,1 scheint Lukas eine gute Quelle mit den Ältesten von Antiochia zu zitieren. Fraglich ist aber die ursprüngliche Zugehörigkeit des Saulus/ Paulus zu dieser Gruppe.