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(Fortsetzung) 6. Josephus kennt die Christen und schreibt über sie

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und über Jesus. Seine oft polemischen Äußerungen widersprechen aber der kirchlichen Dogmatik und den gegenwärtigen theologischen Vor­stel­lungen, so dass sie von Kirche und Theologie nicht als Jesus und die Christen betreffend anerkannt werden.

 

  1. Jesus war, so konnte ich meinen neu erschlossenen Quellen entnehmen, kein religiöser Lehrer, sondern ein religiös verehrter Staatsmann.

 

  1. Die Jünger Jesu waren nicht seine Schüler, die ihm zu Lebzeiten nachfolgten, sondern religiöse Führer, die sich nach seinem Tod auf ihn beriefen und die ersten frühchristlichen Gemeinden gründeten.

 

  1. Zuletzt konnte ich die Entstehungszeit der Schriften des Alten Testaments genauer bestimmen: Die Schriften entstanden unter Herodes Antipas und Agrippa I. und wurden nach dem jüdischen Aufstand 66 – 70 n. Chr. ergänzt und abgeschlossen.

 

Damit war für mich das neue Paradigma vollendet und konnte in den Thesen vorgestellt werden

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Mein Weg zum neuen Paradigma

  1. Zuerst habe ich versucht, Jesus von allen Zuschreibungen
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zu befreien, die die antike Religionsgeschichte auch für andere Religionsstifter und religiös verehrte Herrscher bereithält. Außer der Kreuzigung durch Pilatus bleibt da wenig übrig. aber das ist genug, um die Historizität Jesu zu bestätigen.

 

  1. Davids Großreich wird in der Bibel ausführlich beschrieben, die Beschreibungen folgen allerdings hellenistischen literarischen Konventionen. Da es auch keine zuordenbaren archäologischen Überreste gibt, muss das Großreich Davids als literarisches Produkt einer späteren, frühestens der hellenistischen Zeit angesehen werden.

 

  1. Viele Einzelheiten der alttestamentlichen Geschichte weisen so viele Parallelen zur herodianischen Zeit auf, dass eine Entstehung des Alten Testaments vor der Herodeszeit nicht plausibel ist.

 

  1. Das Markus-Evangelium orientiert sich literarisch an Homers Ilias, es ist Literatur und gestaltet die Geschichte Jesu nach literarischen Gesichtspunkten, denen die geschichtlichen Fakten untergeordnet werden.

 

5. Die Mosegeschichte vom Auswanderer Mose wird in 2. – 4. Mose nach Vergils Aeneis literarisch gestaltet. So wie bei Markus werden die überlieferten Fakten dem literarischen Plot untergeordnet.

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(Fortsetzung) 3. Ich suche den faktischen Jesus. Dieser lebte in einer anderen

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Geschichtsepoche. Daraus ergeben sich viele Unterschiede zu unseren heutigen Auffassungen über Gott und die Welt. Für den Historiker ist es spannend und wichtig, solche Unterschiede herauszuarbeiten, um das Anderssein der historischen Person zu verstehen.

 

Dazu benötigt der Historiker dogmatisch korrekte, aber auch häretische Glaubensaussagen ebenso wie Aussagen von Gegnern Jesu, weil erst die Bandbreite der Informa­tionen die Möglichkeit zum vollen Verständnis bietet.

 

  1. Nach meinem Verständnis sind die Evangelien abhängig von antiken literarischen Vorbildern. In den Evangelien ist die Ästhetik (die Schönheit) des Erzählten wichtiger als die historische Korrekt­heit.

 

5. Mein Jesusbild kommt ohne die wissenschaftlich problematische Hypothese Gott aus.

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Wie entstand mein Jesusbild?

  1. Für mich ist es wichtig, den Menschen Jesus,
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der vor 2000 Jahren lebte, wiederzufinden. Dazu brauche ich möglichst viele, möglichst verschiedene Quellen. Deshalb habe ich Josephus ausge­wertet und im Alten Testament nach Berichten gesucht, die Ent­spre­c­hungen in den Evangelien haben, zum Beispiel Wunder­ge­schich­ten des Pro­phe­ten Elia.

 

2. Für mich besteht das Genie Jesu nicht darin, dass er alles selbst erfunden hat. Deshalb frage ich nach Parallelen von Jesu Botschaft in der heidnischen Umwelt und nach Einflüssen der Umwelt auf sein Denken.

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(Fortsetzung) 3. Die Theologie sucht immer den idealen Jesus. Sie achtet streng darauf,

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dass das Jesus-Bild in jedem Zeitalter als Vorbild dienen kann. Deshalb muss es unbedingt poli­tisch und kirchlich-dogmatisch korrekt sein. Als der Antisemitis­mus im 19. Jahrhundert weit verbreitet war, wurden Jesus häufig kriti­sche Aussagen über das Judentum zugeschrieben. Das wäre heute undenkbar, heute erfordern die politische Korrektheit und die Vorbildfunktion Jesu, dass die Kirche Jesus als frommen Juden darstellt.

 

  1. Die Theologie bestreitet eine literarische Abhängigkeit der Evan­gelien von heidnischer antiker Literatur, um die Historizität der Erzählungen zu sichern (so das neue theologische Konzept des “erinnerten Jesus”).

 

5. Das Jesusbild der Theologie ist ohne den Bezug auf Gott nicht plausibel.

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Warum unterscheidet sich mein Jesusbild?

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vom Jesusbild der Theologie? Ich frage nach dem Menschen Jesus, der vor 2000 Jahren gelebt hat. Die Theologie fragt, wie die Kirche die Botschaft Jesu heute verkündigen kann, und behauptet die Identität der heutigen Verkündigung mit der Botschaft des historischen Jesus.  Den Unter­schied möchte ich in vier Punkten darstellen:

 

Wie entstand das Jesusbild der Theologie?

  1. Die Theologie versteht die biblischen Legenden über Jesus als historische Berichte, die sie behutsam einem modernen Verständ­nis anpassen muss. Es geht darum, den “garstigen historischen Graben” (Lessing) zu überwinden, der unsere heutige Zeit von der Jesus-Zeit trennt.

 

2. Das 19. Jahrhundert verstand Jesus nicht mehr als Gott, aber doch als religiöses Genie, und dazu gehörte, dass er die zentralen Aussagen seiner Botschaft nicht von anderen übernommen, son­dern selbst gefunden hatte. Deshalb lehnt es die Theologie bis heute ab, geistige Einflüsse aus der heidnischen antiken Welt auf Jesus zuzugeben. Das “Copyright” für die christliche Botschaft muss unbedingt bei Jesus selbst liegen.

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(Fortsetzung) Theologische Arbeiten un­ter­liegen grundsätzlich dem Ideologieverdacht,

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das heißt sie können im geschichts­wissen­schaftlichen Sinne nicht objektiv sein, weil sie das Leben Jesu im Sinne der Kirche und ihrer Verkündigung dar­stellen und darstellen wollen (herme­neutischer Zirkel!).

 

Ich musste deshalb bei meinen Untersuchungen völlig bei null anfangen. Das betrifft vor allem die Quellen, aber auch die Ereignisgeschichte, die Wirkung, die Literaturgeschichte und die unmittel­bare, zur Ereignisgeschichte gehörende Umwelt.

 

Etliche Ergebnisse habe ich bereits in früheren Arbeiten publiziert. Natürlich habe ich vom aktuellen Stand der theologischen Jesus- und Bibelforschung profitiert und sie dankbar, aber kritisch genutzt. Daneben stütze ich mich vor allem auf die neueren Arbeiten zur klassischen Philologie und zur Geschichte der frühen Kaiserzeit.

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Mein Problem: Ich musste bei null beginnen, denn die theologische Jesusforschung

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steht wegen Ihrer Nähe zur Kirche unter Ideologie­verdacht. Jenseits des theologischen Geniekults um den Religions­stifter Jesus und jenseits der überholten These, es seien Männer, die Geschichte machten, sind es die üblichen Fragen des Historikers, die zu beantworten sind: Quellen, Umwelt, Ereignis­geschichte, Wirkung, Literaturgeschichte der Quellentexte.

 

Üb­licher­weise kommt danach die Frage nach dem aktuellen Forschungstand. Das Thema Jesus und Urchristentum wird aber wissenschaftlich fast nur von theologischer Seite bearbeitet, nichttheologische Arbeiten sind ausnahmslos abhängig von der Quellenaufbereitung der Theologen.

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Mein Sonderweg

Mein Vorteil: meine Unabhängigkeit von der Kirche. Die Theologen

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legen die Bibel im Sinne der christlichen Dogmatik und der heutigen kirchlichen Bedürf­nisse aus. Das kann ihnen keiner verwehren. Eine historische Erforschung der Bibel muss aber andere Schwerpunkte setzen und andere Maßstäbe anlegen.

 

Historisch ist gerade die Vielfalt, die dogmatisch zugunsten der christlichen Einheit übermalt wurde, interessant. Historisch sind die häretischen Aussagen in der Bibel und außerhalb der Bibel interessant. Deren Erforschung und Würdigung ist, das muss man leider sagen, für Theologen nicht karrierefördernd. Wer kann es ihnen verdenken, wenn sie davon die Finger lassen?

 

Hier liegt mein Vorteil, weil ich finanziell und emotional von der Kirche unabhängig bin, kann ich viele Dinge unbefangen erforschen und beschreiben.