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V  10  andere urchristliche Gruppen

5.10.1.
Viele Aufständische beriefen sich auf Jesus und auf Judas den Galiläer. Diese Christen warfen der Kirche unter Führung der Petrus-Nachfolger

Ephesus, Fußbodenmosaik
Ephesus, Fußbodenmosaik

vor, die ursprünglichen Ideale des politischen Messianismus verraten zu haben, Mk 14,66ff par.

5.10.2.
Die Judas-Christen wurden erst nach dem Scheitern des jüdischen Aufstands 70 n. Chr. aus der sich vereinigenden Kirche ausgeschlossen.

5.10.3.
Da der Messias-Titel ein Herrschertitel war, hatten zuerst die herodiani­schen Fürsten Anspruch auf diesen Titel. König Agrippa I. bemühte sich, als Nachfolger Jesu zu erscheinen.

Wäre der jüdische Aufstand 66-70 n. Chr. erfolgreich verlaufen, hätten die jüdischen Sieger Agrippa II. die Krone des neuen Staates anbieten müssen.

5.10.4.
In Urchristentum gibt es im Gegensatz zum alttestamentlichen Juden­tum keine Hinweise auf eine Integration der Herodes-Familie.

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5.5.9.
Die erste Aufführung der Passion: Dass Jesu Kreuzestod überall ein Thema war, ergibt sich aus folgendem Ereignis:

Jerusalem, Tempelberg
Jerusalem, Tempelberg

Im Jahre 41 n. Chr. reiste der jüdische König Agrippa I. nach Rom, um dem Kaiser Caligula seine Aufwartung zu machen (Ant 19,4,1).

Dabei wurde er zufällig Zeuge der Ermordung des Kaisers. Josephus berichtet (Ant 19,1,13) in diesem Zusammenhang von einer Theater­auffüh­rung am 24.1.41 n. Chr., dem Todestag des Kaisers:

Alsdann ereignete sich zweierlei, das als Vorbedeutung aufgefasst werden musste. Man führte nämlich ein Schauspiel auf, in welchem ein Fürst (hegemon) ans Kreuz geschlagen wurde, und die Pantomime stellte die Kinyrische Fabel dar, in der Kinyras nebst seiner Tochter Myrrha umkommt. Sowohl bei der Kreuzigung nun wie bei der Tötung des Kinyras floss künstliches Blut in Menge.

Bei dem gekreuzigten Fürsten handelt es sich um den gekreuzigten Jesus, das ergibt sich aus der begleitenden Pantomime: Myrrha klingt für römische Ohren wie Maria, der Legende nach der Name der Mutter Jesu. Im Mythos von Myrrha (Ovid, Metamorphosen 10,298-502) geht es um den Inzest der Myrrha mit ihrem Vater Kinyras. Die Anspielung auf den christlichen Glaubens an die Jungfrauen­geburt des Messias ist deutlich zu erkennen. Die Entstehung dieses Glaubens wird auf obszöne Weise gedeutet.

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IV  6   Agrippa II.

 4.6.1.
Mit Agrippa II. klingt die Herodes-Dynastie aus. Im Jahre 44 n. Chr.,

Kapernaum, Primatskapelle
Kapernaum, Primatskapelle

als sein Vater Agrippa I. starb, war er noch zu jung, um dessen Erbe anzutreten. Im Jahre 50 n. Chr. wurde er König über Chalkis im Libanon, 53 n. Chr. König über das Fürstentum des Philippus, das er 41 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahre 94 n. Chr. regierte.

4.6.2.
In die Regierungszeit Agrippas II. fällt der große jüdische Aufstand 66 – 70 n. Chr. Agrippa stand von Anfang an auf der Seite der Römer, so dass er den Aufstand unbeschadet überstand. Agrippa II. hatte vor dem Aufstand die Aufsicht über den Jerusalemer Tempel inne, er stand für ein Stück Kontinuität im Judentum vor und nach dem Aufstand.

“073” weiterlesen

068

4.4.7.
Die alttestamentlichen Erzählungen über Agrippa zeigen, dass er nicht nur Antipas beerbt hat, sondern auch das Werk Jesu

Westbank, Straßensperre am 5.9.1990
Westbank, Straßensperre am 5.9.1990

fortsetzen wollte, eine ideale jüdische Monarchie zu begründen. Die dünnhäutige Reak­tion der Kirche in Apg 12,23 demonstriert, dass die Apostel in Agrippa einen Konkurrenten gesehen haben.

4.4.8.
In der Zeit des Antipas entstanden jüdische Standpunkte, die Haupt­erzählfäden des Alten Testaments, die Mose-, die David-, die Kö­nigs- und die Josefgeschichten wurden begonnen, in der Zeit Agrip­pas wurden diese Erzählfäden weitergesponnen, die Schriften fortgesetzt.

Dabei ist das Bemühen erkennbar, in Nachahmung und Konkurrenz zu Rom große jüdische Literatur zu schaffen und eine große jüdische Kulturtradition zu begründen.

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4.4.5.
In der These 2.2.1 war der Beginn der Josef-Geschichte so gedeutet worden, dass er den Weg Jesu bis zu seinem Tod darstellte. Josef

Nablus, Josefs Grab
Nablus, Josefs Grab

(=Jesus) war von seinen Brüdern (=den Juden) getötet und begraben worden. Unter Agrippa gibt es eine Fortsetzung: Josef (nun als Agrippa verstanden) war, so erzählt es die Fortsetzung der Geschichte, nicht getötet, sondern nur eingekerkert worden, muss nun in ein fernes Land, Ägypten (=Rom), reisen.

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066

IV  4   Agrippa I.

 4.4.1.
Die Zeit des Antipas war eine Zeit der Konflikte, der Auseinander­-

Garizim, Thora-Rolle und Ältester
Garizim, Thora-Rolle und Ältester

setzungen zwischen jüdischen Gruppierungen, mit Agrippa I. folgte eine Zeit der Konsolidierung, der Verständigung, des Ausgleichs.

4.4.2.
In der Mosegeschichte folgte auf Antipas, den Mose des 2.-4. Mose­buches, Agrippa, der Mose des 5. Mosebuches, der sozialeren Gesetz­gebung im Pentateuch.

4.4.3.
In der Königsgeschichte folgte auf König Ahab (=Antipas), der mit dem Propheten Elia (=Johannes der Täufer) im Dauerclinch lag, der Revolutionär Jehu (=Agrippa), der vom Propheten Elisa (=Jesus) zum König gesalbt wurde.

4.4.4.
In der weiteren Königsgeschichte erwies sich der jüdische König Hiskia (=Agrippa) als Diplomat, der eine auswärtige Bedrohung ohne Gewalt abwenden konnte. Die Erzählung vom Rabschake von Lachisch in 2 Kön 18 als Vertreter Sanheribs ist dem Bericht über Petronius, den römischen Legaten Syriens als Vertreter Kaiser Caligulas in Ant 18,8,2 nachgebildet.

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1.5.13.
Konkret werden von Josephus Jesus, die Christen und die christliche Traditio­n in folgen­den Texten benannt:

Cheops-Pyramide, Reitkamel
Cheops-Pyramide, Reitkamel

1. Ant 18,4,1: der samaritanische Messias,
2. Ant 18,3,4: die Verführung der Paulina,
3. Ant 19,1,13: Theateraufführung in Rom in Anwesenheit des jüdischen Königs Agrippa I. am 24.1.41, dem Tag der Ermordung Kaiser Caligulas
3.1. Kreuzigung eines Fürsten (hegemon),

3.2. Pantomime: Die kinyrische Fabel mit dem Inzest von Myrrha und ihrem Vater Kinyras.
4. Ant 20,5,2: Der Statthalter Tiberius Alexander lässt Jakobus und Simon, die Söhne Judas’ des Galiläers, kreuzigen.
5. Ant 18,2,3: die Besiedlung der Neugründung Tiberias.

Text Nr. 1 bezieht sich auf die Hinrichtung Jesu, Nr. 2 und 3.2. sind Polemiken gegen die christliche Überlieferung von der Jungfrauen­geburt, Nr. 3.1 ist eine frühe Aufführung der Kreuzigung Jesu als Theaterstück, Nr. 4 ist ein alternativer Bericht zu Act 12,1ff, Nr. 5 zeigt den historischen Kontext des Gleichnisses von großen Abendmahl, Mt 22,1-14; Lk 14,15-24.